Hat Deutschland den Paradigmenwechsel verschlafen?
Droht Deutschland in der Baubranche im internationalen Vergleich abgehängt zu werden? Im Vergleich zu anderen Industriezweigen hinkt die Baubranche hinterher: Bei der Optimierung der Planungs- und Ausführungsprozesse hat die Automobilindustrie rund 30 Jahre Vorsprung vor der Bauindustrie, so Prof. Dipl.-Ing. Rasso Steinmann, Vorsitzender des VDI-BIM-Koordinierungskreises.9 Dr. Volker Krieger, Repräsentant DIN bei der ISO zur ISO 19650 sieht das ganz ähnlich. „Wir haben – weltweit – die niedrigste Digitalisisierungsquote in unserem Wirtschaftszweig. Ich wünsche mir für unseren Bausektor das, was die Pharmaindustrie mit ihrem ‚Good Manufacturing Practise (GMP)‘ seit zwanzig Jahren mit Erfolg aufgebaut hat – deren Umsatzrendite liegt bei 30 Prozent und mehr. Ich wünsche mir ein ‚Good Building Practise (GBP)‘ – weltweit – und damit hoffentlich einen Abschied von einer Umsatzrendite, die bei manchen Betrieben sogar unter ‚Null‘ liegt.“10
Die mangelnde Akzeptanz von BIM in der deutschen Baubranche und die fehlende politische Unterstützung in den vergangenen Jahren haben dazu geführt, dass andere Staaten Standards in der Entwicklung von BIM gesetzt haben, die sich in Europa oder weltweit durchsetzen konnten. In Skandinavien sind innovative Planungswerkzeuge entstanden, die die Koordination der Planung verbessern: So hat buildingSMART International mit IFC einen weltweit akzeptierten Datenaustauschstandard geschaffen, der sehr früh in Norwegen von staatlicher Seite unterstützt und gefördert wurde. Auch der IDM-Standard (Information Delivery Manual, ISO 29481–1:2010) wurde maßgeblich von Norwegen entwickelt. Die Niederlande haben die ersten Standards zur Spezifikation von Produktdaten etabliert. Großbritannien hat BIM-Prozesse und -Standards zur Umsetzung entwickelt, die zu internationalen ISO-Standards werden könnten. Die US-amerikanische „Level of Development“-Definition und das britische Phasenmodell (PAS 1192 -> ISO 19650) hat sich bereits zum weltweiten Quasi-Standard entwickelt. Der britische Standard (PAS 1192 und ISO 19650) könnte jedoch im Konflikt mit der aktuell in Deutschland geltenden Honorarordnung und den deutschen Ausschreibungs- und Vergaberichtlinien stehen.
Sobald ein neuer ISO-Standard bei der europäischen Normierungsorganisation CEN angemeldet wird, wird er zunächst in den nationalen Spiegelausschüssen auf mögliche Konflikte mit nationalen Normen geprüft und gegebenenfalls entsprechende Einwände erhoben. Es gibt eine klare Hierarchie von ISO über CEN nach DIN. Deutschland ist nicht verpflichtet, ISO-Normen zu übernehmen, CEN-Normen müssen dagegen sehr wohl in nationale DIN-Normen übernommen und entsprechende DIN- oder VDI-Normen zurückgezogen werden, wenn sie nicht im Einklang mit der EN-Norm stehen. Wenn CEN also eine ISO-Norm übernimmt – was für die ISO 19650 absehbar ist, muss sie auch in den EU-Mitgliedsstaaten übernommen werden. Nationale Richtlinienarbeit wird auch im Rahmen des VDI-Koordinierungskreises BIM geleistet, in dem seit 2013 die nationale BIM-Richtlinie VDI 2552 entwickelt wird.11 Mit der Veröffentlichung des 1. Blattes der Richtlinie über „BIM – Mengen und Controlling“ (Blatt 3) im Januar 2017 hat der VDI-Koordinierungskreis einen ersten wichtigen Schritt in der Standarisierung von BIM getan.
BIM in der TGA
Während BIM sich in den Architekturbüros schon kurzfristig zum Standard entwickeln dürfte, hinkt die TGA-Branche noch hinterher. Bislang arbeiten nur wenige, zumeist große Fachplaner mit 3D-Modellen. Dabei würde gerade die Gebäudetechnik mit ihrem hohen Berechnungsaufwand und der engen Verflechtung der Gewerke besonders stark von der Planung in BIM profitieren. Angewiesen sind die Planer dabei selbstverständlich auf die Unterstützung der Hersteller von Bauprodukten. Sie müssen Softwarelösungen entwickeln, die es den Planern erlauben, ihre Produkte im BIM- Modell einzusetzen. Einige Hersteller bieten inzwischen sogenannte BIM-Objekte für ihre Produkte an. Aber auch hier haben deutsche Unternehmen noch erheblichen Nachholbedarf: Obwohl viele der in Deutschland ansässigen Unternehmen durchaus eine marktführende Stellung in Europa haben, haben sie sich bislang an der verhaltenen Nachfrage nach BIM-Objekten aus Deutschland orientiert. Der Handlungsdruck kommt aus den ausländischen Tochterunternehmen und Zweigniederlassungen, die mit dem viel höheren Bedarf der dortigen Planer konfrontiert sind.12