Inhaltsverzeichnis
SHK-Systemtechnik

Kupferkorrosion: Ein Verdacht

Donnerstag, 30.07.2015

Vielleicht eine Vorschädigung

In Lüdenscheid trug die lange Stagna­tionszeit zum MIC-Befall bei. Diesen Sachverhalt sollte man auch als mög­lichen Einflusskomplex in Dorsten in Betracht ziehen. Er kann unter folgenden Bedingungen zu einer Vorschädigung der Rohre geführt haben: Wenn das Rohr eine Zeitlang im Werk oder beim Händler oder beim Handwerker gelegen, sich aus irgendwelchen Gründen darin Kondenswasser gebildet und in der 6-Uhr-Lage dauerhaft gesammelt hat, ist nicht auszuschließen, dass sich in dieser Zeit bereits Ansätze zu örtlicher Korrosion ausbilden. Solche Ansätze offenbaren sich im späteren Einsatz als ausgesprochene Schwachstellen, an denen es dann beim Betrieb mit dem Leitungswasser zu fortschreitender Lochkorrosion kommen kann. Dies scheint weitgehend unabhängig von der Wasserbeschaffenheit in praktisch jedem sauerstoffhaltigen Wasser möglich zu sein.

Das Risiko erhöht sich mit einer bestimmten Behandlung des Rohrmaterials. War das also mängelbehaftet oder für den Einsatz im Versorgungsgebiet ungeeignet? Mit einer Antwort tun sich die Korrosionsfachleute schwer, weil ihnen der Zustand der geschädigten Rohre zum Zeitpunkt der Anlieferung beim Installateur respektive zum Zeitpunkt der Herstellung nicht bekannt ist. Könnten sie auf das Rohr der Vergangenheit schauen, stellte sich unter Umständen Skepsis zur Praxistauglichkeit ein. Die justiziablen Leitungsabschnitte, durch die mittlerweile Hektoliter von Trinkwasser geflossen sind, lassen dagegen keine umfänglichen Rückschlüsse auf den Urzustand zu. 

Was kann dann die befallenen Chargen von anderen unterschieden ha­ben? Dr. Angelika Becker vom IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung in Mülheim/Ruhr hatte kürzlich auf einem Vortrag in Bildern gezeigt, wie unterschiedlich sich die Oberflächenstrukturen von genormten Kupferrohren unter dem Elekt­ronenmikroskop darstellen. Die Varia­tionen deuten auf unterschiedliche Behandlungen der Oberflächen der Chargen hin. 

Gleich mehr dazu, zunächst: Gesellschafter des gemeinnützigen IWW sind Unternehmen der kommunalen Wasserwirtschaft und der Verbände in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen. Diese Zugehörigkeit könnte eine Abhängigkeit des IWW von den Interessen der Wasserwirtschaft andeuten. Die soll im technisch-wissenschaftlichen Bereich nach Bekunden von Auftraggebern und Beratern aber nicht gegeben sein. Das Korrosionslabor im IWW lässt sich demnach in Bezug auf seine Unabhängigkeit durchaus mit dem nicht mehr existierenden früheren Korrosionslabor im Materialprüfungsamt NRW, Dortmund, vergleichen.

Das Bild zeigt das Gebäude der Rheinisch Westfälischen Wasserwerke.
Quelle: Bernd Genath
Zur Ursachenfindung hat die betroffene RWW Rheinisch Westfälische Wasserwerke mbH eine bundesweite Umfrage bei anderen Versorgern gestartet. Wer hat ähnliche Probleme?

Waren es Ziehfett-Reste?

Zu den Themen und Leistungen des IWW gehört nach Satzung das Identifizieren von Risiken, unter anderem in Trinkwasserinstallationen. Folglich auch die Frage, ob über die bekannten Parameter hinaus (zum Beispiel ph-Wert) weitere Inhaltsstoffe oder Konzentrationen sich mit Kupfer nicht vertragen. Der Fall Dorsten könnte auf eine bestimmte Vorbehandlung der Rohre im Verbund mit der Lagersituation beim Hersteller, Händler oder Handwerksbetrieb zurückzuführen sein. Deshalb: Das, was jetzt auftritt, hat man in dieser Art früher nicht beobachtet. Charakteristisch für das Gesicht der neuen Korrosion ist eine merkwürdige Anordnung von winzigen Höhlengängen, die quasi richtungslos durch das Gefüge verlaufen und sich zudem noch zu gezackten pyramidenähnlichen Gebilden aufstapeln. Die Korrosionselemente ähneln damit einem Ameisenhügel. Von dieser Gestalt leitet sich denn auch ihr wissenschaftlicher Name ab: „Formicary corrosion“ oder „Ant nest corrosion“: beide Vokabeln heißen übersetzt Ameisen­hügel. 

Als Kuriosum der Korrosionsgeschichte ist anzusehen, dass diese Korrosionsart zudem wirklich durch Ameisensäure ausgelöst wird. Die könnte durch oxidative Zersetzung von Ziehmittelresten entstehen. Ein Denken in diese Richtung stoßen die Amerikaner und Japaner an. Werkstoffkundler in diesen Ländern stolperten schon in der Vergangenheit über die gleiche mysteriöse Morphologie wie die des Dorstener Lochfraßes. Sie nahmen sich des Phänomens an und kamen der durch Ameisensäure induzierten Kupfer-Lochkorrosion auf die Spur. In einer jüngeren Veröffentlichung weisen die Autoren Corbett und Severance als mögliche Kohlenstoffquelle auf die Rückstände neuerer Ziehfette hin. Die fanden sie auf den Oberflächen von defekten Kupferrohr-Wärmeübertragern. Die jungen Schmiermittel zeichnet die Eigenschaft aus, nach der Rohrpoduktion nicht mehr abgewaschen werden zu müssen. Sie entfernen sich durch Verdampfen selbst – unter ungünstigen Umständen unter Bildung von Ameisen­säure als Rückstand.

Die Ameisensäure-induzierte Korrosion

Denn die Verflüchtigung braucht ihre Zeit. Wenn ihr diese Zeit, zum Beispiel im Rohrlager, gegeben ist, besteht demnach die Gefahr, dass Ziehfettrückstände in Verbindung mit Feuchtigkeit und Sauerstoff zu Ameisensäure oxidieren und eine Art Vorkorrosion auslösen, die sich dann später zu Lochfraß ausweiten kann. Apropos Feuchtigkeit, eine der notwendigen Voraussetzungen der Korrosion: „Trinkwasserinstallationen sind Anlagen zum Transport von Lebensmitteln und bedürfen – besonders vor dem Hintergrund der Hygiene – der Beachtung diverser Vorschriften und Regelwerke. Um diesem Anspruch bis ins Detail gerecht zu werden, liefern KME und die Wieland-Werke ihr Markenkupferrohr ‚Sanco‘ ab 2015 serienmäßig mit verschlossenen Rohrenden“, verweisen in einer Presseinformation zur SHK-Messe 2014 der beiden genannten Firmen auf die neue „Verpackung“. Erst also seit Anfang dieses Jahres kann es in den Lagerbestand nicht mehr hinein regnen.

Dass Holsterhausen eine Ausnahme und ausschließlich dieses Wasserversorgungsgebiet kritisch ist, sei in jedem Fall bezweifelt. In erster Linie wegen der eklatanten Schadensquote in drei Großobjekten mit einem Nachspiel vor den Gerichten kam das Thema in die Öffentlichkeit. Lokale Einzelfälle bewegen nicht sonderlich die Gemüter, zumal die Fälle in Ein- und Zweifamilienhäusern in der Regel in Kulanz geregelt werden. Doch warum sollten andere Regionen von dieser Korrosionsart verschont sein oder verschont bleiben, wo man doch den Auslöser gar nicht kennt? Das widerspricht sich in sich.

 

Das Bild zeigt eine Lochfraß-Korrosion.
Quelle: Bernd Genath
Das Gesicht der Korrosion. Oben in der Mitte der typische Ameisenhügel, der Namensgeber des Lochfraß-Typs.

Gewährleistung

Inwieweit die Gewährleistungs- und Haftungsübernahme-Vereinbarungen im Schadensfall greifen müssten, sollten die Juristen klären. Diese Verträge nehmen unter anderem die Hersteller bei „Unterlassen der Produktbeobachtung“, wie es in § 2 heißt, in die Pflicht. Wie ist dieser Passus zu interpretieren? Oder: Sollten Schmiermittel an dem Dorstener Befall Schuld tragen, darf dann das Handwerk nach § 2 Instruktionsmängel wegen des fehlenden Hinweises „Nur für den sofortigen Einsatz geeignet“, inklusive Verfalldatum, reklamieren? Oder Materialfehler geltend machen, da dieser Art gefertigte Rohre für den Einsatz in Trinkwasserinstallationen nicht geeignet sind?

Das Dorstener Handwerk pocht deshalb auf eine Erweiterung der Haftungsübernahme-Vereinbarung. Es will die Unterschrift unter einer generellen Kostenübernahme, wenn den Betrieben ein Verschulden nicht nachgewiesen werden kann. Die jetzige Freiwilligkeit sei angesichts der Gewährleistungspflicht und der Schuldzuweisung der Gerichte nicht haltbar. Man begebe sich im Zusammenhang mit der aktuellen Situation ja auch auf Glatteis: Sollte es trotz Phosphatierung – die das Wasserwerk eingeleitet hat – zur Beschleunigung der Schutzschichtbildung und weiterer Vorkehrungen in Zukunft immer noch zu unerklärlichem Lochfraß kommen, besteht die Gefahr, dass die Gerichte zu einer zehnjährigen Gewährleistung nach VOB verurteilen. Weil Schwierigkeiten mit dem Rohr bekannt gewesen seien. So sah ja auch ihr Richterspruch in Bezug auf sauerstoffdurchlässige Kunststoffrohre für Fußbodenheizungen aus, die in den 80er Jahren teilweise weiter eingebaut wurden, obwohl bereits die Korrosionsrisiken bei Verwendung ungesperrter Rohre Thema in zahlreichen Fachartikeln waren. 

Die Antwort der Kupferindustrie steht noch aus.

Betroffene bitte melden

Die Dorstener Korrosion beschäftigt die Gerichte. Zur objektiven Schadens- und Verantwortungsbewertung könnte eine bundesweite Sammlung ähnlicher Lochfraß-Erscheinungen unbekannter Ursache beitragen. 

Wer von ähnlichen Fällen betroffen war oder ist, melde sich bitte bei der H. Grefer GmbH, Klosterstraße 82, 46282 Dorsten, info@h-grefer-gmbh.de.

Von Bernd Genath
Düsseldorf
Aktuelle Bewertung
Noch keine Bewertungen vorhanden
Ihre Bewertung
Vielen Dank für Ihre Bewertung.

Sie haben eine Frage zu diesem Artikel? Dann stellen Sie der Redaktion hier Ihre Fachfrage!

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Möchten Sie die aktuellen Artikel per E-Mail erhalten?

Einloggen

Login / Benutzername ungültig oder nicht bestätigt

Passwort vergessen?

Registrieren

Sie haben noch kein Konto?
Dann registrieren Sie sich jetzt kostenfrei!
Jetzt registrieren

 

Expertenfragen

„Frag‘ doch einfach mal – einen Experten!": Nach diesem Motto können Sie als Nutzer der TGA contentbase hier ganz unkompliziert Fachleute aus der Gebäudetechnik-Branche sowie die Redaktion der Fachzeitschriften HeizungsJournal, SanitärJournal, KlimaJournal, Integrale Planung und @work zu Ihren Praxisproblemen befragen.

Sie wollen unseren Experten eine Frage stellen und sind schon Nutzer der TGA contentbase?
Dann loggen Sie sich hier einfach ein!

Einloggen
Sie haben noch kein Konto?
Dann registrieren Sie sich jetzt kostenfrei!
Registrieren