Trinkwasser und Legionella? Nicht bei uns! Echt nicht, keinesfalls...

Es gibt keinen klaren Zusammenhang zwischen Infektionen durch Legionellen bzw. Pseudomonaden und der Trinkwasserhygiene in Kranken­häusern...

...in Niedersachsen. Sagt die dortige Landesregierung auf eine kleine Anfrage im Landtag. Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.

Für Kinder gibt es ein wunderbares Spiel, um die Dauer langer Autofahrten – politisch korrekt: Bahnfahrten mit grünem Strom durch stille Auen mit glücklich weidenden Kühen – zu verkürzen. Es heißt „Ich sehe was, was Du nicht siehst, und das ist…?“ Die drei Pünktchen ersetzen wir dabei durch was auch immer – eine Farbe, eine Form, eine Eigenschaft, und dann geht das eifrige Umherschauen und Suchen schon los. So weit, so unterhaltsam, und letztlich so Erkenntnis fördernd. Genau hinschauen, Neues entdecken und Altbekanntes anders sehen, das ist selbst für die lebenserfahrenen Beteiligten immer wieder faszinierend.

In Niedersachsen wird dieses Spiel, zumindest in Verwaltungskreisen, augenscheinlich ebenfalls gespielt. Also zumindest so ähnlich: Ich sehe nichts, was jeder sieht, und das ist…? Die drei Pünktchen ersetzen wir an dieser Stelle aber nicht durch „was auch immer“, sondern konkret durch die hygienekritischen Legionellen und Pseudomonaden im Trinkwasser. Hier: in dem Trinkwasser von Krankenhäusern. Denn zumindest im Rahmen der Meldepflicht gemäß §7 Infektionsschutzgesetz konnte im Lande mit dem stolz steigenden Ross im Wappen nach Aktenlage „seit 2001 … kein klarer epidemiologischer Zusammenhang zwischen Infektionen oder Ausbrüchen durch Legionellen bzw. Pseudomonas aeruginosa und der Trinkwasserhygiene in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen festgestellt werden.“ Teilte die Landesregierung, in persona Sozialministerin Dr. Carola Reimann – immerhin studierte Biotechnologin und ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion – Ende Juni auf eine kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Martin Bäumer im Landtag mit.

Seit 2001 nicht. Also seit fast zwei Jahrzehnten nicht. Um die Einleitung noch einmal aufzunehmen: Da staunt der Laie, der Fachmann wundert sich!

In diesem Fall sind das die Partner für Wasser. Der Berliner Verein setzt sich, finanziert von namhaften Unternehmen der SHK-Branche (Blue safety, Grünbeck, Hansa, Tegeba, Uponor; Stand: Juli 2020), seit Januar 2016 für den Erhalt der Hygiene in Trinkwasser-Installationen ein. Dabei wird nicht, dies sei ausdrücklich betont, die Richtigkeit der Aussage bestritten. Wenn ich irgendwo hinschaue, und nichts sehe, ist halt nichts da – das stimmt zweifelsohne. Wie gut ich hingeschaut habe, sei aber mal dahingestellt, denn „der Zusammenhang zwischen Krankenhausinfektionen und Problemen durch veraltete und sanierungsbedürftige Trinkwasseranlagen ist kaum bekannt“, sagen die Partner für Wasser. Diesmal in Person des Vorsitzenden Joachim Stücke: „Es ist nur schwer vorstellbar, dass es in Niedersachsen seit fast 20 Jahren keinen dokumentierten Fall gegeben hat.“

Denn eine von den Partnern für Wasser in Auftrag gegebene und vom Institut für empirische Sozialkommunikation (I.E.S.K.) in Düsseldorf von Dr. Uwe Pöhls durchgeführte Studie zu diesem Thema komme nachweislich zu einem anderen Ergebnis. In der 2016 durchgeführten Erhebung, die der Redaktion vorliegt (s. Kasten), gaben jedes zweite befragte Krankenhaus sowie jedes fünfte Alten-/Pflegeheim an, bereits Pro­bleme mit der Trinkwasseranlage (E.coli, Legionellen etc.) gehabt zu haben.

Es sind immer die anderen!

Also: Die Studie war aus 2016; das Landesamt hat aber (nochmals!) seit 2001 keine Erkenntnisse über einen „klaren epidemiologischen Zusammenhang“. Möglicherweise liegt es auch daran, dass über die Formulierung des „klaren epidemiologischen Zusammenhangs“ hier ganz feines, sauber differenzierendes Korn gemahlen wird… Dabei hilft ein Blick gewissermaßen über den an dieser Stelle doch und verständlicherweise ein wenig eingrenzenden Zaun der landtaglichen Fragestellung. Blicken wir mal – ganz simpel – in die willkürlich zusammengegoogelte Berichterstattung der regionalen Gazetten des Flächenlandes an den Gestaden der Weser:

Gut – kein Krankenhaus, keine Pflegeeinrichtung im Wortsinne ist in dieser Auflistung dabei. Ich sehe was, was Du nicht siehst…, nämlich: Es gibt überall Probleme mit Legionellen, im Mehrfamilienhaus, in der Schule, im Altenwohnheim und im Industrieobjekt, aber nicht in „meinen“ Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.

Cui bono?

Womit automatisch die Anschlussfrage aufgeworfen wird: Cui bono, wem nützt es? Wer hat einen Vorteil davon, wenn sich die verwaltungsgrundierten Regierungserkenntnisse so stark von den empirisch Evidenz-basierten Erfahrungen der Praktiker unterscheiden? Die Partner für Wasser meinen: „Unterlassene Instandhaltungsmaßnahmen an Komponenten der Trinkwasseranlage können die beschriebenen Vorgänge (Vermehrung von Mikroorganismen und Entstehung von Biofilmen) verstärken und weitere Gefährdungen verursachen. Gerade in großen Gebäuden wie Krankenhäusern und Pflegeheimen kann die Komplexität der Trinkwasser-Installationen zu mikrobiologischen Kontaminationen führen.“ Deswegen setze man sich seit Vereinsgründung für eine Ausweitung des Bundes-Hygienesonderprogramms auf bauliche Maßnahmen ein. Aber: Das Land Niedersachsen lasse – nach eigener Aussage – aktuell den Altenpflegeheimen und Krankenhäusern keine spezielle finanzielle Förderung für die Trinkwasserhygiene zukommen. Dies sei laut Partner für Wasser aber dringend notwendig: „Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ermittelt jährlich den Investitionsstau in Krankenhäusern, in 2019 türmt sich dieser auf mindestens 30 Milliarden Euro auf.“

Geht es also vulgo nur um den schönen Mammon? Und das in Corona-Zeiten, wo definitiv jeder Politiker das Hygiene-Mantra betet, sobald ihm auch nur annähernd mehr als zwei potentielle Wähler Masken-geschützt auf 1,5 Meter Abstand nicht zu nahekommen? Weil ja bekanntlich die Gesundheit das höchste Gut des Menschen ist, und wir haben ja sowieso nur eine Erde, und das letzte Hemd am Ende hat auch keine Taschen?

Es ist ein Mirakel – doch die Redaktion des SanitärJournals bleibt dran. Und liest zwischendurch einen Beitrag, den die „Ärztezeitung“ am 20. März 2020 zum „riesigen Investitionsstau bei Krankenhäusern“ veröffentlichte, basierend auf Hinweisen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), des GKV-Spitzenverbandes sowie des Verbandes der Privaten Krankenversicherung. Die haben für das laufende Jahr nämlich eine Investitionsanalyse vorgenommen und dabei festgestellt, das die Landesmittel zur Investitionsfinanzierung „lediglich 50 Prozent der eigentlich benötigten sechs Milliarden Euro“ abdecken. Da würde es sicherlich schon gar nicht mehr ins Bild passen, wenn auf gleicher Landesebene bei entsprechenden Untersuchungen doch ein „klarer epidemiologischer Zusammenhang zwischen Infektionen oder Ausbrüchen durch Legionellen bzw. Pseudomonas aeruginosa und der Trinkwasserhygiene in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen festgestellt werden“ und folglich einen akuten Handlungsbedarf aufzeigen würde!

Eckdaten zur „Partner“-Studie

Befragt wurden 309 Einrichtungen aus dem HealthCare Bereich, davon 145 Krankenhäuser und 141 Alten- und Pflegeheime.

(Quelle: Partner für Wasser, Berlin; Institut für empirische Sozial- und Kommunikationsforschung I.E.S.K., Düsseldorf)

Massiver Investitionsstau

In öffentlichen Gebäuden herrscht bundesweit bekanntermaßen ein eklatanter Investitionsstau. Das bestätigt auch das aktuelle „KfW-Kommunalpanel 2020“. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) befragte dazu bundesweit die Kämmereien in Städten und Gemeinden mit mehr als 2.000 Einwohnern sowie in allen Landkreisen. Durchgeführt wurde und wird die Umfrage und repräsentative Hochrechnung durch das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) seit 2009 – und das aktuelle Ergebnis ist schlichtweg verheerend.

Die Stimmung der Kommunen hat sich danach mit Blick auf die Finanzlage durch die Corona-Krise massiv eingetrübt, so die KfW. Die Haushaltsüberschüsse der letzten Jahre dürften angesichts sinkender Einnahmen und steigender Ausgaben vorerst unerreichbar sein. In den Kämmereien gehe man von Sparmaßnahmen aus, um die Haushaltsdefizite zu decken. Dies drohe insbesondere die Investitionen in Mitleidenschaft zu ziehen. Dabei sei das Investitionsniveau bereits 2019 nicht ausreichend gewesen, denn der wahrgenommene Investitionsrückstand der Kommunen sei laut bundesweiter Hochrechnung auf 147 Milliarden Euro gestiegen. Eine der Ursachen sind nach Einschätzung der Kommunen übrigens fehlende Kapazitäten auf dem Bau!

Wo der Investitionsrückstand am größten ist, verdeutlich eine entsprechende Grafik aus dem „KfW“-Panel“. Das Feld „Gesundheit“ liegt dabei zwar noch vergleichsweise gut im Rennen. Hier sind es „nur“ 28 Prozent „gravierender Rückstand“, plus nochmals 7 Prozent „nennenswerter Rückstand“, den die Kommunen und Landkreise angeben. Also 35 Prozent „Rückstände“ in der Summe. Wobei allerdings gleichzeitig sagenhafte 40 Prozent der Befragten „Weiß nicht“ angekreuzt haben – was nicht wirklich beruhigt, wenn man einmal davon ausgeht, dass Spitzenleistungen mit Freude kommuniziert, Probleme hingegen ebenso gerne unter den Teppich gekehrt werden.

Montag, 26.10.2020