Trinkwasserhygiene

Wir haben gedürstet und werden frieren, aber ...

… es ist alles im Rahmen der Regelwerke!

Samstag, 15.10.2022

Erst kam der Ukraine-Krieg – und damit die Energiekrise.

Das Bild zeigt rauchende Schlote.
Quelle: Eckhard Martin
Noch rauchen die Schlote, oder zumindest die Kamine, regelgerecht im Brennwertmodus. Aber die Zeiten ändern sich gerade dynamisch ...

Dann kam die lange Dürre, die längste seit angeblich 500 Jahren, die früher „toller Sommer“ geheißen hätte – und damit die Forderung nach mehr Wasserstellen im öffentlichen Raum. Beide haben etwas gemeinsam: Sie legen den Finger in eine Überregulierung, in der wir uns in den fetten Jahren der Vergangenheit ganz wunderbar eingerichtet haben. Eine Betrachtung ...

Zum 2. Februar diesen Jahres, es ist also noch nicht allzu lange her, gab es in Deutschland 1.773 Gesetze mit 50.738 Einzelnormen. Zudem galten 2.795 Rechtsverordnungen mit 42.590 Einzelnormen, so die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Bundestag. Zusammen sind das gut 4.500 Gesetze und annähernd 100.000 Normen. Nur mal so, überschlägig zusammengerechnet.

Allein auf dem Bau sind von besagten Normen rund 3.500 anzuwenden. Hinzu kommen weitere Regelungen aus dem Landesrecht, und solche seitens der Kommunen. Dabei geht es oft um Abstandsflächen und Fassadengestaltung, Belange des Umweltschutzes oder der Landschaftsplanung, aber noch viel, viel häufiger um Sicherheit: Schall- und Brandschutz, Unfallverhütung, Gesundheitsvorsorge – wo auch immer das individuelle Sein nur in den nebulösen Dunstkreis einer denkbaren (Da-)Seinsgefährdung einzutreten droht, hebt „Väterchen Staat“ erst achtsam sein paragrafengeschmücktes Haupt – und dann über seine Schutzbefohlenen die ebenso gebende wie nehmende Hand.

Und das im Ergebnis ausgesprochen erfolgreich, zeigt der Blick in die wie immer auslegbaren Statistiken. Denn von den 3.964 Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die 2020 im Alter zwischen 35 und 65 Jahren unfallbedingt verstarben, sind laut destatis beispielsweise nur 927 aufgrund eines häuslichen Unfalls umgekommen. Wobei beachtet werden sollte: Hier sind auch die eingerechnet, die mangels Umsicht von der Leiter fielen! Die Zahl der Stromunfälle mit Todesfolge wiederum verharrt laut VDE mit rund zwei Dutzend ebenfalls auf konstant niedrigem Niveau, und selbst bei den Legionellen – um endlich auf die trinkwasser-assoziierten Lebensrisiken zu kommen – liegt „Deutschland mit einer Meldeinzidenz von 1,7 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner (2018) leicht unter dem aktuellen europäischen Durchschnitt von 1,8 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner“, teilt das Robert Koch-Institut (RKI) mit.

Eine umfassende geregelte Vorsorgepolitik zahlt sich also doch aus. Zumindest so lange, bis das fein gefügte Wohlstands-Weltbild aus den Fugen gerät, weil entweder a) das Gas aus der vermeintlich unversiegbar sprudelnden Ostsee-Pipeline nur noch tröpfelt oder b) der Sommer als alles überrollende Hitzewelle das Land ausdörrt und die Menschen dürstend auf der Suche nach einem möglichst nicht nur tröpfelnden Wasserhahn durch die aussterbenden Innenstädte taumeln lässt. Denn dann, stellen Meister Mustermann und Rüdiger Regelwerk plötzlich überrascht fest, stehen uns auf einmal ausgerechnet jene schutzziel-fixierenden Regelwerke ganz gewaltig im Wege, deren Wirkmacht seit Jahren mit der geballten Kraft der Verbände und Fachvereinigungen, aber auch Hersteller vertreten wurde.

Das Bild zeigt Legionellen unter einem Mikroskop.
Quelle: Uponor
Die stäbchenförmige Legionelle ist, nicht nur unter dem Mikroskop entsprechend recht klein, triebgetrieben: Unterhalb von 50 °C kann sie regelwerksgesteuert gar nicht anders, als sich krankheitserregend zu vermehren!

Die Lust am Grenzwert

Nehmen wir nur mal, um endlich konkret zu werden, des Vize-kanzlers Energiesparappelle, weil Putin-Rußland uns den Gashahn zudreht: Unter der Dusche sollen wir künftig Robert-Habeckenderweise nicht nur kürzer, sondern auch kühler duschen. Was wiederum, den sozialen Medien sei Dank, sofort viral ging und bei denen, die rein bakteriologisch ein klein wenig weiter dachten, die naheliegende Frage aufwarf: Wenn ich schon kühler dusche, dann könnte ich doch gleich Energie sparend die Speichertemperaturen absenken. Eine pfiffige Idee. Wenn da nicht die Legionellen wären, deren Kopulationsdrang bekanntermaßen in Großanlagen, regeltechnisch gesehen, unterhalb von 55 °C sofort massiv ansteigt und dem/der/des vulnerablen DuscherIn dann sofort eine lungenentzündungsähnliche Erkrankung bis hin zum häuslichen Tode (s. Statistik oben) bescheren könnte ...

Zuerkannte und selbsternannte Trinkwasser-Experten gaben sich daraufhin in der Folge wahlweise die Tastatur oder das Mikro in die Hand, um im Blog, im Radio oder Fernsehen deutlich zu machen, wie gesundheitserhaltend die Einhaltung der Systemtemperaturen von 60/55 °C nun mal sei – und daran zu rütteln den wortwörtlichen Untergang des Abendlandes bedeuten könne. Differenzierung? Fehlanzeige. Kaum ein Wort zum bestimmungsgemäßen Betrieb der Trinkwasserinstallation, zur regelmäßigen Durchströmung, zum kontinuierlichen Wasseraustausch oder was auch immer neben der Systemtemperatur ebenfalls dafür beiträgt, dass Trinkwasser auf Dauer genusstauglich, sauber und rein bleibt.

Denn fest steht auch: Das sklavische Festhalten an der (unter Schutzaspekten zweifellos wohl gemeinten) 60/55-Spreizung kostet uns pro Kelvin mehr (oder weniger) etwa 2,5 Prozent Heizenergie, rechnete jüngst ein namhafter deutscher Markenhersteller von Installationstechnik vor. 2,5 mal 5 entsprächen damit, wenn wir die Spreizung in der Trinkwarmwasserinstallation auf 55/50 °C absenken würden, 12,5 Prozent Energieeinsparung. So rein buchhalterisch gesehen. In der Praxis mag das etwas weniger sein, wie auch Legionellen nicht ohne jede Nachkommastelle bei Schlag 50 °C urplötzlich ihren Vermehrungsdrang entdecken – aber selbst zehn Prozent wären doch schon ein Wort.

In einer solchen Situation trotzdem die 60/55-Spreizung als sakrosankt anzusehen, muss man sich nicht nur leisten wollen, sondern auch können. Und dann gleich dazu sagen: Nein, wir halten nichts von der Wärmepumpen-Offensive der Bundesregierung ohne flankierende Stromleistungen, um weiterhin in Großanlagen uneingeschränkt die 55 °C-Grenze aufrecht zu erhalten.Schließlich wurde die Regel mal aus gutem Grund aufgestellt, und schärfer geht bekanntlich immer, weniger aber, zumindest aus Sicht der Verwalter, nicht der Gestalter, nimmer. Also, so ähnlich wie bei der Steuer ...

Das Bild zeigt das Display einer Heizungsregelung.
Quelle: Eckhard Martin
Es ist die Spreizung mit Grenzwert, die aktuell noch zählt: 60/55 °C. Koste es, was es wolle?

... mit einem Schlückchen Klarwasser

Womit wir, am Ende des immer noch nicht ausklingend wollenden Dürre-Deutschland-Sommers, beim zweiten Thema wären: der Trinkwasserversorgung im öffentlichen Raum. Denn Potzblitz, was tausende Spanien-, Frankreich- und Italien-Urlauber alljährlich schon seit Jahren nach der Heimkehr feststellen, überschritt nach wochenlangen Temperaturen jenseits der 35 °C-Marke Anfang August auch die Wahrnehmungsschwelle des Gesetzgebers. Plötzlich stand sie im Raum, die Forderung nach möglichst vielen öffentlichen Trinkwasserstellen in den Städten und Gemeinden, damit das Volk sich unter sengender Sonne allzeit am kühlen Nass möge laben können. Also Zapfstellen wie jene, die auf der italienischen Piazza dei popoli genauso üblich sind wie auf dem französischen Place de Ville.

Beziehungsweise eben nicht wie jene, denn die wahlweise ständig sprudelnden Minibrünnlein oder ihre eher funktionsorientierten, schlichten Druckspüler-Varianten müssen – richtig: auch in den Rahmen passen, der unter anderem die Trinkwasserverordnung (TrinkwV) sowie die zugehörigen Regelwerke zum Betrieb von Trinkwasserinstallationen mit Wasserabgabe an die Öffentlichkeit, setzt. Stichwort 1: bestimmungsgemäßer Betrieb mit regelmäßiger Nutzung gegen – siehe oben – Verkeimung. Stichwort 2: Beprobung, was mit regelmäßigen Kosten für den Betreiber verbunden ist. Wobei – Stichwort 3 – auch noch zu klären sei, wer die Kosten übernehme, wenn die gesamtdeutsche Bevölkerung den Durst permanent am öffentlichen Brunnen löscht. Aber das hat jetzt nichts mit der hierzulande wohl kulturell verankerten Begeisterung für die Einhaltung von Regelwerken zu tun ...

Natürlich steht es außer Zweifel, dass auch für „öffentliche“ Trinkwasserqualität das Niveau eines Lebensmittels gehalten werden muss. Schwierig wird es nur, wenn unter derartigen Deckmäntelchen – nichts passiert oder Initiativen geblockt werden, die eigentlich in das Kapitel „Menschenrechte“ gehören: Schon 2011 hat der UNO-Menschenrechtsrat nämlich genau das, das Recht auf Wasser festgestellt. Und dabei nicht haarspaltend ausdifferenziert, dass das nur für die infrastrukturarmen Regionen in Zentralafrika gelte. In den Industrieländern könnte man sich, nur so als Idee, in der Konsequenz nämlich genauso die Frage stellen: „Und wo haben wir noch Nachholbedarf; erfüllen auch wir dieses Menschenrecht im (sic!) öffentlichen Raum?“ Es ist bezeichnend, dass der DVGW in diesem Zusammenhang, als Fazit im Rahmen seiner Stellungnahme zur „Richtlinie (EU) 2020/2184 EU-Trinkwasserrichtlinie“ feststellt: „Der völlig unzureichende Entwurf der Kommission (Februar 2018) konnte im Laufe der Verhandlungen essentiell verbessert werden. Dennoch trägt die neue Trinkwasserrichtlinie mehr als bislang eine politische Handschrift (Right2Water-Initiative, Interessen des Parlaments etc.).“

Man beachte das Wörtchen „dennoch“. „Dennoch“ heißt doch nichts anderes als: Wenn einfach nur geregelt worden wäre, um eine Regel für einen Sachverhalt zu haben, wäre ja alles gut. Aber regeln, weil dahinter eine politische Forderung steht, wie durch die Initiative „Right2Water“ („Recht auf Wasser“) mit über 1,8 Millionen Unterschriften aus ganz Europa – das kann doch einfach nur suspekt sein. Möglicherweise, weil diese Variante der Zieldefinition eine zukunftsgerichtet offene ist, die die Ausgestaltung eines Handlungsrahmens erfordert. Und nicht, wie sonst üblich und gelernt, zuerst das grenzwertige Schutzziel definiert wurde, für das anschließend über die Risikoanalyse nur noch die Einflussgrößen detektiert und limitiert werden müssen, die es gefährden könnten. Oder anders formuliert: Geht es um den Blick nach vorn, oder schauen wir lieber zurück?

Ob diese „mehr als bislang politische Handschrift“ außerdem vielleicht auch daran liegen mag, dass sich für die Versorgung mit Trinkwasser die Rahmenbedingungen genauso massiv verändert haben, wie es beispielsweise im ebenfalls politisch initiierten Umgang mit fossilen Brennstoffen der Fall ist? Ein Punkt, auf den die EU-Kommission im Übrigen selbst in der Präambel zum Entwurf des Regelwerks hinweist: „Eine Rechtsvorschrift – die Richtlinie 98/83/EG des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch – muss besonders hervorgehoben werden, da sie konkret zum Ziel hat, die menschliche Gesundheit vor den nachteiligen Einflüssen zu schützen, die sich aus dem Konsum von verunreinigtem Wasser ergeben, indem dessen Genusstauglichkeit und Reinheit gewährleistet werden. Generell wurde die Richtlinie von den Mitgliedstaaten ordnungsgemäß umgesetzt, das Konzept der Qualitätsüberwachung an dem Punkt, an dem das Wasser zum Gebrauch bereitgestellt wird, orientiert sich jedoch an Parametern, die vor über 20 Jahren festgelegt wurden. Deshalb muss geprüft werden, ob die Richtlinie vorhandenen und künftigen Belastungen gerecht wird ... .“ Vorhandene und künftige Belastungen, zu denen zweifellos die Hitzesommer und der damit einhergehend deutlich gestiegene Bedarf an „öffentlichem“ Trinkwasser gehört.

Fakt ist: In den vergangenen Monaten haben sich die Rahmenbedingungen für die Wärme- wie die Trinkwasserversorgung in beeindruckender Geschwindigkeit verändert. Langjährig belastbare Bewertungskriterien gehören der Vergangenheit an. Auf diese Veränderungen muss jetzt reagiert werden. Und zwar auf allen Ebenen. Die EU hat, wie es ihre Aufgabe ist, dafür die grobe Richtung vorgegeben. In der Energiepolitik genauso wie beim Thema Wasser. Eine „grobe Richtung“, die ganz bewusst nationale Handlungsspielräume eröffnet. Die geneigten Interessensverbände und -vertreter haben jetzt (wieder einmal) die Chance, diese Handlungsspielräume aktiv gestaltend zu nutzen – oder durch ein traditionsverhaftetes „Weiter so“ jenen Fortschritt zu blockieren, dem man irgendwann nur noch nachweinen, aber nicht mehr nachlaufen kann ...

Das Bild zeigt einen Brunnen.
Quelle: Eckhard Martin
Früher, früher war alles besser. Wirklich? Es sei dahingestellt. Aber zumindest gab es noch Brunnen, die ihr kühles Nass so ganz leicht an der TrinkwV vorbei feilboten ...

Von Eckhard Martin
Chefredaktion SanitärJournal
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