Bad

Über den Fluch des Leerstandes und Impulse zur Trendwende

Montag, 14.11.2022

Wenn der Blick vom Gästehaus der Bundesrepublik Deutschland, dem Petersberg, über die sanften Hügel des Siebengebirges und hinab ins Rheintal schweift...

Das Bild zeigt ein Musterzimmer.
Quelle: liquid
„Das Rhein“. Musterzimmer zum Konzept „Wohnen auf Zeit“ von Liquid Architekten.

...kommt sie auf, die oft besungene und noch öfter zitierte Rheinromantik. Hier tötete Siegfried den Drachen, feierte Kaiser Wilhelm seinen vierzigsten Geburtstag und ließ Konrad Adenauer Gäste aus aller Welt bewirten. Mit der Romantik ist es allerdings schnell vorbei, wenn man die Innenstadt von Königswinter betritt: Geschlossene Läden, seit Jahren leerstehende Wohnhäuser, unbespielte Gastronomie und verwaiste Hotels prägen heute Teile der Innenstadt – mit dramatischen Auswirkungen auf das gesamte Ortsbild, die Außenwirkung der Stadt und auf deren langfristiger Entwicklung.

Damit steht Königswinter nicht allein. Nahezu alle Kommunen betrifft diese Problematik, und es wird nicht erst seit heute händeringend nach neuen Antworten auf die toxische Kombination aus Strukturwandel, demografischem Wandel, geändertem Konsumverhalten, weiter zunehmendem Online-Handel und neuen Wohn-, Lebens- und Arbeitsformen gesucht.

Die Stadt Königswinter hat bereits einige Anstrengungen zur Trendumkehr unternommen, versucht mit Infrastrukturmaßnahmen wie der Umgestaltung der Rheinpromenade zur autofreien Zone oder den geplanten Bau der Bahnunterführung von der Drachenfelsstraße die Innenstadt aufzuwerten und der Abwärtsspirale entgegenzuwirken. Die Umgestaltung des Rathausplatzes oder des alten Bahnhofes sind weitere Inselprojekte der Stadt, die durchaus erfolgreich umgesetzt wurden. Doch das große Ganze, das Stadtbild ist noch durch zu viel sprichwörtlich graue Vorzeit geprägt. Wandel braucht Zeit. Und Geld. Doch kreative Lösungen braucht Königswinter – jetzt ...

Advantage: Königswinter!

An Potential mangelt es der Stadt dabei nicht. Mehr noch: Königswinter gehört deutschlandweit zu den wenigen Städten vergleichbarer Größe, die faktisch von den sozio-demografischen Entwicklungen massiv profitieren können – wenn heute mutige und konsequente Maßnahmen angestoßen würden. Das haben einige Investoren, darunter die Verianos SE aus Köln, erkannt und bringen die Bereitschaft mit, in die Zukunft der Stadt zu investieren, ein „Drehbuch“ für einen Ort mit Strahlkraft zu schreiben.

Denn Königswinter hat komprimiert in einer Stadt mit 42.000 Einwohnern all das, worüber sich andere Kommunen freuen würden: Eine spannende Historie, eine geographisch exponierte Lage mit perfekten Anbindungen und moderner Infrastruktur in die Metropolregion, touristische Highlights, spannende Flächen für Wohnen und Gewerbe, ungenutzte Großimmobilien, die neuen Wohnraum für alle Generationen – von barrierefrei bis stylish – bieten. Einzelne lokale Anleger sind bereits mutig vorangegangen und haben individuell gestaltete Hotels, gastronomische Kleinode und Ladenlokale mit regionalem Charme geschaffen. Leuchttürme zwischen Leerstand. Was fehlt, ist der laute Weckruf.

Das Bild zeigt ein Volksbank-Gebäude.
Quelle: Helmut Reinelt
Eine Zumutung für das Auge: das ehemalige Volksbank-Gebäude wird Verianos der historischen grau-weißen Farbgestaltung zurückführen und den Leerstand mit Leben füllen.

Grundsteinlegung Zukunft

Unter dem Arbeitstitel „Quartier 645“ – benannt nach dem Rheinkilometer an dem Königswinter liegt – soll pulsierendes Leben in der Altstadt entstehen. Nachhaltig, modern, lebendig, lebenswert und bunt sind hier die Schlagworte. Gleichzeitig sollen vorhandene kulturelle und geschichtliche Gegebenheiten respektiert und kreativ weitergedacht werden, der ganz besondere Charme der historischen Altstadt mit Rheinflair wird gestärkt. Dabei ziehen alle beteiligten Akteure an einem Strang, mit einem an die Region angepassten Konzept, das sich in allen Aktivitäten, Designs und Investitionen widerspiegelt.

Neben der Ausweitung des gastronomischen Angebots durch neue Restaurants und Cafés zielt „Quartier 645“ vor allem darauf, moderne Raumkonzepte für den Einzelhandel und die Hotellerie zu entwickeln sowie Freiräume für traditionelles Handwerk, für Kunst- und Kulturschaffende zur Verfügung zu stellen.

„Dass sich eine Innenstadtbelebung nicht von heute auf morgen realisieren lässt, ist allen Beteiligten klar“, sagt Diego Fernández Reumann, Chairman der Verianos SE und einer der visionären Investoren. „Aber manchmal muss es knirschen, diesem Agieren mit angezogener Handbremse setzen wir dynamische und zukunftsweisende Konzepte entgegen, die gleichzeitig den Spirit der Altstadt respektvoll einfangen. Denn moderne Betonbunker oder monotone Konsumangebote standardisierter – und damit austauschbarer – Fußgängerzonen will hier keiner sehen.“

Kulturprojekt „Hotspot KW“ polarisiert

In Zusammenarbeit mit der Agentur kulturbüro nr. 5 ist deswegen ein Konzept für eine groß angelegte Kulturinitiative in der Altstadt entstanden. Das Projekt „Hotspot KW“ bringt Kultur direkt in das urbane Umfeld und so auf kürzestem Weg zu Bewohnern und Besuchern der Stadt.

Unter dem Titel „Hotspot KW“ sind Kunst-Projekte wie „delta“ und „residenz“ an den Start gegangen. Hinter „delta“ steckt beispielsweise die künstlerische Neugestaltung der Fassaden eines Ensembles aus drei leerstehenden, baufälligen Gebäuden, deren Abriss mittelfristig bevorsteht. Mit der optischen Aufwertung der bis dato geltenden „Schandflecke“ im Stadtbild geht auch die Schaffung eines neuen Ortes für Straßenkunst einher. Drei namhafte Künstler – der Berliner Gris, der Kölner Bananensprayer Thomas Baumgärtel sowie Wolfgang Krell aus Lörrach – gestalten in Street Art-Manier die Außenhäute dieser Objekte.

Arbeiten und wohnen unter einem Dach heißt es für die erste Künstlergruppe „Der Wald und der Sturm“, die am 1. Mai 2022 in einer alten Villa, der „Hotspot KW residenz“, am anderen Ende der Stadt Quartier bezogen hat. Und nach drei Monaten von der nächsten Künstlergruppe abgelöst wird. Zentraler Ort des „Hotspot KW“ ist die „factory“ auf dem ehemaligen Gelände der ZERA Fabrik. Thomas Baumgärtel bezog hier Räumlichkeiten und präsentierte seine Werke in einer zweimonatigen Ausstellung. Bevor der Traum von Konzerten, Theater, Gastronomie und Arbeitsräumen für Künstler weitergeträumt werden kann, müssen aber noch einige Hürden in Sachen Brandschutz genommen und die In­frastruktur des Gebäudes ertüchtigt werden.

Das Bild zeigt ein bemaltes Gebäude.
Quelle: Helmut Reinelt
Kunstprojekt Delta: Streetart-Künstler Gris vor seinem Werk in der Hauptstraße.

Gewohnt ungewohnt – die Hotelprojekte

Schmuckstück an der Rheinpromenade ist das Hotel Loreley. Hier feierte Kaiser Wilhelm seinen 40. Geburtstag. Vieles im Festsaal ist noch im Originalzustand. Und vieles ist ver- oder überbaut, es schreit förmlich nach einer Freilegung der ursprünglichen Seele des Hauses. Ein Luxushotel für moderne Ansprüche in alten Gemäuern soll es werden. Die im Erdgeschoss befindlichen Gastro-Räume indes sind so, wie sie sind, voller Charme und mit wenigen Mitteln zeitnah in Betrieb zu nehmen.

Konkreter sehen die Planungen für das ehemalige Drachenfelshotel aus, dem Tor zur Stadt direkt am Anleger in Königswinter. 1973 erbaut wurde es mehrmals renoviert, nicht unbedingt zu seinem Vorteil. Der nun geplante Umbau ist ein weiterer Baustein zur Ausdifferenzierung der Königswinterer Altstadt und zur Bereitstellung eines zukunftsweisenden Wohnangebotes. Kommunikatives, individuelles, vielfältiges und grünes Wohnen kennzeichnen die Umbaupläne. Apartments und Wohnungen ab 23 Quadratmetern richten sich an Gäste, die für einige Wochen oder Monate in Königswinter leben wollen. „Gewohnt ungewohnt“ beschreibt das Architektenteam von Liquid die Pläne zum geplanten Erscheinungsbild des Hauses unter dem neuen Namen „Das Rhein“.

Vorhandene Strukturen wie Betonwände und -böden werden integriert, die Bausubstanz bleibt weitestgehend unangetastet. Der Blick auf den Rhein und der Bezug regionaler Themen sind elementar. Ein lichtdurchflutetes Café im Erdgeschoss als Treffpunkt für Gäste und Königswinterer sowie ein Kiosk mit regionalen Produkten runden das Konzept ab. „Ein neues Ressourcenbewusstsein wird durch sensible und ablesbare Eingriffe in den Bestand deutlich. Auf innovative und experimentelle Weise soll Architektur zum Raumerlebnis auf kleinstem Raum werden und Aneignung und Identität erzeugen“, erläutert Architektin Prof. Kerstin Schultz von Liquid ihre Vision.

Die Grundsteinlegung für Königswinter ist erfolgt, Wille, Ideen und Geldmittel für die Weiterentwicklung vorhanden. Soweit alle Akteure auch weiterhin an einem Strang ziehen ...

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