Schlittschuhbahn in der Dusche

Rutschsicherheitsklassen nur „Augenwischerei"?

Montag, 04.03.2019

Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Rutschsicherheitsklassen und Zertifizierungen bringen in der Praxis nicht das, was sie versprechen. Oder etwa doch?

Ob Fliesen oder Platten, ob Bade- oder Duschwannen, ob im Sanitärbereich oder auf Außentreppen: Wenn Oberflächen nass werden, bergen sie ein enormes Risiko: Ausrutschen. Daher gibt es hierzulande verschiedene Rutschsicherheitsklassen, die den Verbrauchern eine Garantie geben sollen. Doch die Erfahrung zeigt: Selbst wenn die vorgeschriebene Rutschsicherheitsklassen eingehalten werden, sind sie in der Praxis nicht effektiv. Sturzunfälle, Reklamationen und Klagen häufen sich. Woher kommt diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit?

In Europa und insbesondere in Deutschland findet die Festlegung der Rutschhemmungsklasse eines Produkts über eine TÜV-Prüfung statt. Das Verfahren sieht vor, dass ein TÜV-Mitarbeiter auf einer Rampe steht, auf der das zu testende Produkt angebracht ist. Anschließend wird der Neigungswinkel schrittweise erhöht. Der Moment, an dem die Person herunter rutscht, bestimmt die Rutschsicherheitsklasse. So existieren die Barfußklassen A, B und C (DIN-Norm 51097) sowie die bekannteren R-Klassen R9 bis R13 (DIN-Norm 51130). Hierbei wird die Oberfläche mit Schuhen begangen. Eine Klassifizierung für Nassbereiche gibt es dabei nicht.

„Das Testergebnis ist sehr variabel, denn je nach Person, Alter, Körpergewicht, Verfassung und Tagesform verändert sich die Ausgangslage und am Ende auch die Aussage. So passiert es, dass auch Produkte, die tatsächlich nicht rutschsicher sind, gute Prüfungsergebnisse bekommen“, erklärt Jelmer Stellingwerf, bei der GriP Safety Coatings AG zuständig für Industriekunden.

Wenn Oberflächen nass werden, bergen sie ein riesiges Risiko: Ausrutschen. Daher gibt es hierzulande verschiedene Rutschsicherheitsklassen, die den Verbrauchern eine Garantie geben sollen – eigentlich…
Quelle: Shutterstock/GriP Safety Coatings AG
Wenn Oberflächen nass werden, bergen sie ein riesiges Risiko: Ausrutschen. Daher gibt es hierzulande verschiedene Rutschsicherheitsklassen, die den Verbrauchern eine Garantie geben sollen – eigentlich…

Statischer Test anstatt Interpretationsspielraum

Um den nicht zuverlässigen Testergebnissen vorzubeugen, hat sich das Schweizer Unternehmer auf den so genannten Pendulum Test (Norm BS7976) fokussiert. Damit werden Produkte untersucht und in Klassen zwischen High Slip Potential und Low Slip Potential eingeteilt. Der Unterschied zur TÜV-Prüfung liegt darin begründet, dass es sich um einen statischen Test handelt, bei dem in einer Prüfeinrichtung der Reibungskoeffizient gemessen wird. Ein beweglicher Schlitten auf Silikonbasis simuliert eine Barfußsituation auf der getesteten Oberfläche. Mehr Maschine, weniger Mensch: Die im Labor erzeugten Ergebnisse sind konstant und nachweisbar, Abweichungen oder Interpretationsspielräume gibt es nicht. Der ermittelte Durchschnittswert gibt verlässlich Auskunft über die Rutschsicherheit.

Da dieses Verfahren nachvollziehbare Ergebnisse liefert, ist es das einzige derzeit vorhandene effektive Beweisverfahren zur Ermittlung der Rutschsicherheit. Die international aufgestellte Hotelkette Hilton Group beispielsweise akzeptiert nur noch den Einbau von Produkten, die ein optimales Pendulum Testergebnis vorweisen. Der Reibungskoeffizient-Test gilt inzwischen als britischer Standard. Denn gerade im Hotelbereich birgt es eine große Gefahr, wenn Gäste in der Badewanne duschen und dafür ein- und aussteigen oder in der Duschwanne ausrutschen.

Vermeintliche Sicherheit eingekauft

Auch im Privatbereich sind immer wieder Verbraucher verstimmt, die sich vermeintliche Sicherheit eingekauft haben – und die Produkte im Alltag ihr Versprechen dann nicht halten. Mit dieser Klientel hat vor allem Dieter Stelker zu tun, der im Auftrag der Firma GriP Safety Coatings AG nachträgliche Antirutschbeschichtungen verbaut. „Die Menschen ärgern sich zu Recht, wenn ihnen teure Produkte als rutschfest verkauft wurden, die dann lebensgefährlich sind.“ Aus Gesprächen weiß der Experte, dass der Handel um die Problematik zunehmend weiß – gerade auch dort, wo Duschen komplett mit großflächigen Fliesen belegt worden sind. Stelker: „Früher arbeiteten die Fliesenleger noch viel mit Mosaik, durch die Fugen wurde noch eine gewisse Rutschfestigkeit erreicht. Heute haben wir eine echte Schlittschuhbahn in der Dusche – auch dann, wenn die Produktbeschreibung etwas ganz anderes versprochen hat.“

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