Trinkwasserhygiene

Trinkwasserhygiene: Klare Regeln für Dichtheitsprüfung gesucht

Mittwoch, 16.01.2019

Leitungssysteme werden oft mit Druckluft auf Dichtheit geprüft. Kommt es zu Wasserschäden, verweigern Versicherer bei einer Prüfung mit Druckluft aber immer häufiger die Regulierung.

Es folgen juristische Auseinandersetzungen, wobei die Rechtslage derzeit nicht eindeutig ist. Die Branche ist gefordert, sich auf technische Regeln zu verständigen, die bestehende Zweifel ausräumen.

Die Relevanz des Themas lässt sich anhand der Zahlen abschätzen, die der Gesamtverband der Deutschen Ver­sicherungswirtschaft veröffentlicht hat. Demzufolge werden pro Jahr mehr als eine Million Schadensfälle gemeldet, die durch undichte Wasserleitungen verursacht werden. Deren Regulierung schlägt bei den Versicherungsunternehmen mit über zwei Milliarden Euro zu Buche. Laut einer Studie von Rockwell Consulting entfallen davon rund ein Drittel – also fast 700 Millionen Euro – auf Neubauten.

Die veröffentlichten Zahlen sind ein Beleg, dass Leckagen bei neu verlegten Trinkwasserleitungen vor der Inbetriebnahme trotz erfolgter Prüfung häufig nicht entdeckt werden. Dies ist für die Beteiligten ein Ärgernis, die anschließende Sanierung ist meist aufwändig, teuer und mit Einschränkungen in der Nutzung verbunden. Wer die Kosten trägt, das entscheiden in letzter Zeit immer häufiger Gerichte. Ob das angewandte Verfahren zur Dichtheitsprüfung geeignet war oder bei der Durchführung Fehler gemacht wurden, darüber gehen die Meinungen der am Bau Beteiligten immer häufiger auseinander.

Quelle: pixabay com

Zunehmend wird mit Luft geprüft

Bis ins Jahr 2011 war die Rechtslage eindeutig. Die bis dahin gültige Norm DIN 1988 Teil 2 gab vor, dass ausschließlich Wasser als Medium zur Dichtheitsprüfung von Trinkwasserleitungen in Gebäuden eingesetzt werden durfte. Dies änderte sich mit der Einführung der aktuellen gültigen und harmonisierten Norm DIN EN 806. Diese erlaubt sowohl die Prüfung mit Wasser als auch mit Druckluft oder Inertgasen.

Die Prüfung mit kompressiblen Medien wie Luft oder Stickstoff ist jedoch an die Bedingung geknüpft, dass „nationale Bestimmungen dies zulassen“. Diese Formulierung wird von den Bauherren, Handwerkern, ihren Fachverbänden, den Versicherern und Juristen unterschiedlich interpretiert. So begünstigt die Formulierung Interpretationsspielräume und Missverständnisse, wie im Folgenden näher ausgeführt wird.

Denn in der Praxis drücken nun immer mehr Installateure mit Luft oder inerten Gasen ab, unter anderem, weil dies das Risiko einer Verkeimung reduziert. Bei der herkömmlichen Prüfung kann unter Umständen stehendes Wasser in den Leitungen die Bildung von Krankheitserregern wie Legionellen begünstigen. Da das Verfahren hinsichtlich der Trinkwasserhygiene offensichtliche Vorteile bietet, empfiehlt auch der Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) seinen Mitgliedern, mit Druckluft statt mit Wasser zu prüfen. Viele Installateure folgen diesem Rat.

Neue Methode, neue Herausforderungen

Die Qualität und Aussagekraft der Prüfung mit Druckluft ist jedoch stark davon abhängig, ob die folgenden Randbedingungen sach- und fachgemäß berücksichtigt werden:

Prüfvolumen: Im Unterschied zur Prüfung mit Wasser muss das Gesamtsystem in kleinere Prüfabschnitte unterteilt werden. Nur so ist gewährleistet, dass innerhalb der vorgegebenen Prüfzeiträume auch kleine Leckagen entdeckt werden können.

Temperatur: Erhöht sich, zum Beispiel durch zunehmende Sonneneinstrahlung während der Prüfung, die Temperatur des Prüfgases im Leitungssystem, kann der Luftdruck steigen, obwohl gleichzeitig Luft aus dem Leitungssystem entweicht.

Verbindungsstellen: Um Undichtigkeiten zuverlässig zu identifizieren, müssen alle Verbindungsstellen eingeseift und während der Prüfung beobachtet werden.

Manometer: Damit auch minimale Druckabfälle detektiert werden, müssen entsprechend empfindliche Manometer mit einer Ablesegenauigkeit von 1 hPa (1 mbar) eingesetzt werden.

Sind alle Bedingungen erfüllt, liefert die Druckluftprüfung valide Ergebnisse. Voraussetzung ist einerseits eine sorgfältige Planung. Andererseits müssen sich die ausführenden Installateure dann bei der Durchführung sehr genau an die Vorgaben der DIN EN 806 halten. Die Erfahrung der TÜV SÜD-Sachverständigen zeigt allerdings, dass dies in der Praxis häufig nicht der Fall ist. Gründe dafür gibt es viele: Der Zeitdruck auf der Baustelle ist hoch, Mitarbeiter sind mit den Anforderungen der Norm nur unzureichend vertraut oder geeignete Manometer stehen nicht zur Verfügung. Um Zeit zu sparen, wird mitunter das gesamte Leitungssystem „in einem Stück“ geprüft und nicht in mehrere Teilabschnitte mit kleinem Volumen untergliedert. Oder auf das Abseifen der Verbindungsstücke wird verzichtet. Haben die Mitarbeiter nicht ausreichend Erfahrung, dann fällt es schwer, die Auswirkungen von Temperaturänderungen korrekt zu interpretieren. Es existiert somit eine Vielzahl an potentiellen Fehlerquellen. Sie alle erhöhen das Risiko für den Installationsbetrieb, eine tatsächlich vorhandene Leckage zu übersehen.

Wer haftet im Schadensfall?

Versicherer stellen aus diesem Grund die Aussagekraft der Dichtheitsprüfung mit Druckluft immer öfter infrage und verweigern die Schadensregulierung. Aus Sicht der Installationsbetriebe ist die Situation gewissermaßen paradox: Einerseits hat sich die Methode – auch aufgrund der Empfehlungen der SHK-Fachverbände – als Standard etabliert. Andererseits berufen sich auch die Versicherer auf die DIN EN 806 und bemängeln, dass die Dichtheit der Leitungssysteme nicht mit Wasser geprüft wurde. Dieser Einschätzung folgen immer häufiger auch die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen sowie die Richter in den Gerichtsprozessen. Im ungünstigsten Fall bedeutet dies für die Installationsbetriebe, dass sie in vollem Umfang für den entstandenen Schaden haften.

Letztlich entzündet sich die Diskussion also an der oben genannten Formulierung der DIN EN 806. Demnach dürfen Luft oder Inertgase zur Prüfung eingesetzt werden, „sofern nationale Bestimmungen diese zulassen.“ Da die Norm jedoch diese nationalen Bestimmungen nicht näher spezifiziert, wird der Passus von den verschiedenen Akteuren unterschiedlich interpretiert.

Versicherer kritisieren ergänzende Regelwerke

Der Einschätzung, dass DVGW-Arbeitsblätter, VDI-Richtlinien oder ZVSHK-Merkblätter als „nationale Bestimmungen“ gewertet werden können, folgen die Versicherungsunternehmen nicht mehr ohne Weiteres. Der Hinweis, bei diesen ergänzenden Regelwerken handle es sich um bewährte, anerkannte Regeln der Technik, überzeugt zunehmend weder sie noch die unabhängigen Richter. Unter einer nationalen Bestimmung, die einer juristischen Prüfung standhält, ist vielmehr ein amtliches, abgestimmtes Dokument gemeint. Dies könnte beispielsweise ein nationales Gesetz mit einer zugehörigen Durchführungsverordnung sein, die wiederum auf allgemein anerkannte technische Regeln und Normen verweist. In Deutschland existiert jedoch eine solche nationale Bestimmung derzeit nicht.

Planungsbüros, Installateure und Bauunternehmen sind durch die unklare Rechtslage verunsichert. Sollen sie weiterhin den Empfehlungen ihrer Verbände folgen oder wieder auf Dichtheitsprüfungen mit Wasser zurückgreifen? Wie können sie die mit der Wahl des Verfahrens verbundenen Risiken realistisch abschätzen und tragen? Hier stehen sowohl die beteiligten Unternehmen, ihre Interessensgemeinschaften und Dachverbände in der Pflicht, klare und eindeutige Regeln zu erarbeiten, die ein höheres Maß an Sicherheit bei der juristischen Bewertung des Sachverhalts bieten.

Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft werden pro Jahr mehr als eine Million Schadensfälle gemeldet, die durch undichte Wasserleitungen verursacht werden.
Quelle: Dipl.-Ing. Hermann Wagner
Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft werden pro Jahr mehr als eine Million Schadensfälle gemeldet, die durch undichte Wasserleitungen verursacht werden.

Beide Methoden weiterentwickeln

Beide Methoden, die Dichtheitsprüfung mit Wasser und die Dichtheitsprüfung mit Druckluft, haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile und sollten unabhängig voneinander weiterentwickelt und optimiert werden. Bei der Prüfung mit Druckluft wird es vor allem darum gehen, eine gleichbleibend hohe Qualität der Prüfungen und Messergebnisse zu gewährleisten. Dazu könnten unter anderem die Anforderungen und Rahmenbedingungen klarer definiert und auch eine intensivere Schulung der Fachkräfte sichergestellt werden. Dies würde die Akzeptanz der Methode langfristig erhöhen.

Gleichzeitig könnte die über lange Jahre in der Praxis erfolgreich angewandte Wasserdruckprüfung um wichtige Hygieneaspekte ergänzt werden. Möglich wäre beispielsweise eine Desinfektion der Leitungen durch geeignete Hilfsstoffe direkt vor Inbetriebnahme. Krankenhäuser setzen dieses Verfahren ein, um Verkeimungen auch bei längeren Standzeiten auszuschließen. Liegen zwischen der Dichtheitsprüfung und der Inbetriebnahme lange Zeiträume, ist es auch möglich, das Leitungssystem regelmäßig zu spülen. Auch so lässt sich das Verkeimungsrisiko wirksam reduzieren.

Zudem scheint nicht abschließend geklärt, wie hoch das Risiko in der Praxis tatsächlich ist. Denn belastbare, wissenschaftliche Studien mit mikrobiellen Untersuchungen zu den Parametern, die das Keimwachstum tatsächlich begünstigen oder verhindern, sind nicht vorhanden. Jedoch lassen Erkenntnisse aus Ländern mit weniger strengen Trinkwasservorschriften den Schluss zu, dass das tatsächliche Risiko einer Keimbildung signifikant geringer ist, als hierzulande vielfach angenommen wird. Mehr Klarheit und Transparenz könnten standardisierte, baubegleitende Untersuchungen liefern, die von unabhängigen Forschungsinstituten durchgeführt werden.

Fazit und Empfehlung

Die Rechtslage hinsichtlich der Dichtheitsprüfung von Trinkwasserleitungen in Gebäuden ist nicht eindeutig. Dies wird sich kurz- und mittelfristig voraussichtlich nicht ändern. Bis neue, eindeutige Regelungen greifen, sollten Installateure und Bauherren sich bei der Planung und Durchführung exakt an die Vorgaben der DIN EN 806 halten. Die Unternehmen sollten bei der Wahl der Prüfmethode deren Vor- und Nachteile genau gegeneinander abwägen und vor allem eindeutig klären, ob die damit verbundenen Risiken für sie in der Praxis beherrschbar sind. Allen, die bis zur abschließenden Klärung der Sachlage auf der sicheren Seite sein wollen, empfiehlt TÜV SÜD, möglichst unmittelbar vor der Inbetriebnahme gemäß DIN EN 806-2 mit Wasser bei 11 bar abzudrücken.

www.tuev-sued.de/is

Von Hermann Wagner
Leiter Zentralbereich Gebäudetechnik, Geschäftsfeld Bautechnik, TÜV Süd Industrie Service GmbH
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