Gibt es Normen für gesunden Menschenverstand?

Mittwoch, 20.03.2019

1918 ist die erste DIN-Norm erschienen. Also vor gut 100 Jahren. Heute haben wir weit über 30.000 Normen. Das entspricht ungefähr 100 pro Jahr, also 1,34 pro Jahreswerktag. Minimum, denn da sind ja die ganzen Überarbeitungen und Aktualisierungen und sonstigen Regelwerke noch gar nicht mitgezählt. Die Kollegen der Deutschen Handwerkszeitung haben mal ausgerechnet, dass jeden Monat etwa 100 neue Normen oder Normen-Entwürfe oder Normen-Änderungen veröffentlicht werden. Jeden Monat etwa 100; das ist toll viel, oder? Auf jeden Fall ist damit alles gut geregelt.

Ganz besonders auf dem Bau. Mehr als 3.750 Normen betreffen nämlich allein diesen Wirtschaftszweig. Also von uns allen hier in der Branche, gewissermaßen. „Mehr als 3.700“ sind über 600 mehr als noch vor zehn Jahren, hat die Bundesregierung ausgezählt. Vor allem, weil das europäische Brüssel bekanntermaßen auch gerne regelt – und wir es dann hierzulande übernehmen, gewissermaßen begeistert weiterregeln.

Ob das dazu geführt hat, dass die Baukosten gerade in den vergangenen Jahren so massiv angestiegen sind, behaupten nur böse Zungen. Fakt ist aber, dass ganz viele dieser Normen überaus wichtig sind. Vor allem im Brandschutz. Da geht es nämlich immer gleich um Leib und Leben. In kleinerer Münze kann hier generell und grundsätzlich nicht gezahlt werden!

Mit dem bemerkenswerten Resultat, dass es zum Beispiel mittags in einem Hochhaus in Duisburg eine Brandschau gibt – und drei Stunden später sind alle Mieter zwangsausgezogen, aus ihren Wohnungen. Teilweise nach 50 Jahren, in denen sie dort gut und sicher gewohnt haben. So geschehen im Februar. Und das ist kein Einzelfall: Nach festgestellten Mängeln im Brandschutz wurden 2017 im Dortmunder Hannibal-Komplex die Mieter aus gut 400 Wohnungen gleich evakuiert. In Braunschweig hatten die Mieter von zehn Wohnungen in einem Hochhaus wenigstens eine Woche Zeit zum Auszug, in Bochum waren es 2018 in einem Zehngeschosser sogar volle 14 Tage. Also etwa so lang wie ein durchschnittlicher Wanderurlaub im Oberammergau.

Dass die Gebäude seit 1962, seit 1974 oder seit wann auch immer ohne Beanstandungen genutzt und betrieben wurden, spielt dabei keine Rolle. Stattdessen argumentieren die jeweiligen Brandschutzsachverständigen unisono mit ihrer „Erfüllung der Sorgfaltspflicht, bevor etwas passiert.“ Das ist übrigens genau dasselbe Argument, mit dem schon 1974 besorgte Eltern an einer Hauptstraße in einem Vorort von Oer-Erkenschwick den Bau eines Absperrgitters an einer Haltestelle erzwungen haben, damit Heinz-Robert oder Nicole-Kathrin beim Drängeln in den Schulbus nicht übel unter die (Zwillings)Räder kämen…

Aber vielleicht brauchen wir so langsam einfach nur mal ein paar neue Normen. Beispielsweise solche, die den gesunden Menschenverstand in ein Regelwerk fassen, das künftig gerichtsfeste Spielräume für weniger drastische, aber genauso zielführende Lösungen eröffnet. Neue Normen und Regelwerke, die neben Ein/Aus und Schwarz/Weiß auch noch die Zwischentöne kennen, und in denen es vorrangig um den originären Inhalt eines Schutzzieles geht und weniger um den letzten Buchstaben, um die sprichwörtlich letzte brandschutztechnisch abgenommene und zertifizierte Schraube, an der sich heute noch der ebenso letzte beckmesserische „Brandschutz-Verwalter“ mit seiner ansonsten akut gefährdeten Existenzberechtigung so wunderbar festhalten kann...

Ob alle 3.750 Normen auf dem Bau notwendig sind, sei dahingestellt. Aber wenn ausdrücklich darauf hingewiesen werden muss, dass ein Dolmetscher nicht ohne Fremdsprachenkenntnisse auskommt – DANN besteht wirklich in diesem unseren Lande noch eine Menge Regulierungsbedarf. Und richtig Deutsch würd sich an der Stelle auch voll echt hälfen…
Quelle: Martin
Ob alle 3.750 Normen auf dem Bau notwendig sind, sei dahingestellt. Aber wenn ausdrücklich darauf hingewiesen werden muss, dass ein Dolmetscher nicht ohne Fremdsprachenkenntnisse auskommt – DANN besteht wirklich in diesem unseren Lande noch eine Menge Regulierungsbedarf. Und richtig Deutsch würd sich an der Stelle auch voll echt hälfen…

PS: Das gleiche Prinzip funktioniert übrigens genauso gut beim Naturschutz: In der Nähe von Chemnitz verzögert sich beispielsweise die Erschließung eines ein Hektar großen Baugebietes. Zuvor muss auf dem Gelände noch eine DDR-Ruine, ein nie bezogener Plattenbau abgerissen werden. Was aber nicht geht, weil in derselben ein paar Meisen nisten. Und vom 1. März bis 31. Oktober besteht nun mal gesetzlich verbriefter Nestschutz. DAS muss man sich leisten können! Danke sagen deswegen auch nur ein paar Dutzend Bauherrn, die deswegen mindestens bis zum Wintereinbruch schon mal Vorfälligkeitsentschädigung für die noch nicht in Anspruch genommene Baufinanzierung abdrücken. Aber die paar Kröten wegen so ein paar Meisen machen für manche Menschen den Kohl wohl nicht mehr fett…

Von Eckhard Martin
Chefredaktion SanitärJournal
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