Dunkel-Deutschland – auch tagsüber überall

Dämmung lässt im Dunkeln tappen

Dienstag, 06.06.2017

Ausreichend Tageslicht ist essentiell für Gesundheit und Wohlbefinden. In (Wohn-)Räumen allerdings sind wir damit unterversorgt. Ausgerechnet die klimapolitisch durchgesetzte energetische Außendämmung „verdunkelt“ die Lage noch mehr. Eine aktuelle Studie empfiehlt daher nicht weniger als eine Verdoppelung der heute üblichen Fenstergrößen.

Tappt Deutschland im Dunkeln? Nicht im politischen, sondern im wortwörtlichen Sinne? Bis zu 90 Prozent ihrer Zeit verbringen die Menschen in geschlossenen Räumen – und damit auch im „Dunkeln“. Konkret, sie werden mit zu wenig Tageslicht „versorgt“.

Dabei ist schon länger bekannt, wie wichtig ausreichend Tageslicht für das Wohlbefinden, die Gesundheit, für Stimmung und Leistungsfähigkeit ist. Natürliches Tageslicht steuert zudem über die Hormone Cortisol und Melatonin unsere innere biologische Uhr. Bislang können künstliche Lichtquellen diese positiven Wirkungen bei weitem nicht ersetzen.

Eine Studie des Beratungsunternehmens Ecofys untersuchte nun, „ob die geltenden Tageslichtanforderungen aus der sogenannten Musterbauordnung (MBO) dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Die Verordnung schreibt vor, dass die Fensterflächen eines Raumes mindestens einem Achtel der Grundfläche betragen müssen.“ Diese Faustformel sollte den Tageslichtbedarf in der Regel decken. Drei Viertel der Bundesländer übernahmen die Empfehlung der MBO in ihre verpflichtenden Landesbauordnungen. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verlangen ein Zehntel der Grundfläche, Niedersachsen und Schleswig-Holstein stellen überhaupt keine diesbezüglichen Anforderungen.

Etwas genauer beschreibt der Tageslicht-Quotient D das prozentuale Verhältnis zwischen der Beleuchtungsstärke im Raum und im Freien. Er soll mindestens bei 0,95 Prozent in halber Raumtiefe liegen. (Raum mit Seitenlicht laut DIN 5034-1).

Licht-Autonomie für alle

Der Tageslicht-Quotient gilt allerdings nicht mehr als zeitgemäß. Deshalb bevorzugt der Entwurf einer europäischen Norm (prEN 17037:2016-08-Entwurf) den Begriff der Tageslicht-Autonomie: Das ist der Anteil der Nutzungs- oder auch Tageslichtstunden pro Jahr, in denen ein Raum ausreichend mit Tageslicht versorgt wird – ganz ohne Kunstlicht. Ein Raum ist dann tageslicht-autonom, wenn 50 Prozent seiner Fläche mit 300 Lux Beleuchtungsstärke an 50 Prozent aller Tageslicht-Stunden versorgt werden. Umgerechnet auf Berlin entspräche das einem Tageslicht-Quotienten von 2,2 Prozent, also mehr als doppelt so viel wie derzeit.

Die Lage des untersuchten Raumes entspricht einer häufig auftretenden innerstädtischen Mehrfamilienhaus-Bebauung: Eine eher ungünstige, aber durchaus realistische Tageslicht-Situation.
Quelle: ECOFYS
Die Lage des untersuchten Raumes entspricht einer häufig auftretenden innerstädtischen Mehrfamilienhaus-Bebauung: Eine eher ungünstige, aber durchaus realistische Tageslicht-Situation.

Leben im „Dark-Room“

Der jetzt per Simulation untersuchte Raum hatte einen Fensteranteil von einem Achtel der Grundfläche, gemäß MBO. Er liegt im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses. „Das Ergebnis der Untersuchung ist ernüchternd: In einem typischen innerstädtischen Mehrfamilienhaus wird somit gerade einmal ein Drittel des von Experten empfohlenen Tageslichts erreicht“, stellen die Autoren der Studie fest. Es habe sich gezeigt, „dass in den unteren Geschossen eines innerstädtischen Mehrfamilienhauses im Gebäudebestand die Tageslichtversorgung bei Anwendung der 1/8-Faustformel nicht ausreichend ist.“ Der Quotient D erreichte einen Wert von 0,72 Prozent, das ist nur ein Drittel des Mindestwertes gemäß der europäischen Norm prEN 17037:2016.

Fenster zu Schießscharten

Aber es wird noch „dunkler“. Diese ohnehin schon mangelhafte Situation wird durch die energetische Sanierung vieler Wohngebäude noch verschärft. Zum einen durch die oftmals geringere Licht-Durchlässigkeit neuer Fenster: Während eine Zwei-Scheiben-Isolierverglasung immerhin noch 80 Prozent des sichtbaren Lichts in den Raum lässt, sinkt dieser Wert für Wärmeschutzverglasung auf 75 Prozent. Mit Sonnenschutzverglasung wird es dann richtig „duster“, sie lässt noch 40 bis 60 Prozent des Tageslichts passieren.

„Verdunkelungsgefahr“ entsteht in erster Linie aber durch die wärmedämmungsbedingt erhöhte Laibungsverschattung – aus Fenstern werden „Schießscharten“… Das senkt den ohnehin schon (zu) niedrigen Tageslicht-Quotienten um ein weiteres Drittel auf 0,52 Prozent!

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